Vom Skandalisieren
Zur „Entzauberung“ Werner Haftmanns
Vorbemerkung: Dieser Beitrag war als Antwort vor allem auf die Beiträge der ZEIT vom 6.2. 2020 und eines kurz darauf erschienenen Beitrages von ttt gedacht. Ich hatte ihn als Erwiderung geschrieben und gehofft, dass im Sinne eines lebendigen Dialogs eine Antwort auf einerseits recht kühne und andererseits rufzerstörende Thesen veröffentlicht würde. Leider war diese Hoffnung vergebens. Im Zuge der Corona-Krise ist auch bei mir das Thema in den Hinterkopf gerückt.„Wir sind am Leben, und das ist nicht selbstverständlich nach allem, was war, was ist und was kommt. Wir haben uns entschließen müssen zu leben (…) Wir beginnen eben wieder zu arbeiten. Fahren wir fort, als sei nichts geschehen? (…) Wir wissen nicht, was Kunst noch ist.“ ( Zitiert nach Papenbrock 2006, S. 204)
Diesen Satz schrieb der Kunsthistoriker Kurt Bauch 1946 in einem seiner „Kriegsrundbriefe“. Er zeugt von tiefer Ratlosigkeit darüber wie es nach 12 Jahren Barbarei und Krieg weitergehen sollte. In den letzten Monaten wird medial eine Sau durchs Dorf getrieben und das auf Grund scheinbar neuer Erkenntnisse. Die ZEIT und nun auch das ARD-Kulturmagazin Titel Thesen Temperamente haben herausgefunden, dass Werner Haftmann in der NSDAP war. Und sie präsentieren dies mancherorts als neue Einsicht: „…und wieder stellt sich heraus: ein Nazi.“ So schrieb Hanno Rauterberg in der ZEIT vom 6.2. 2020 und begründet diese Erkenntnis damit, dass „kürzlich der in Cambridge lehrende Historiker Bernhard Fulda auf die sehr naheliegende Idee kam, beim Bundesarchiv die entsprechende Frage zu stellen.“ (Was n.b. kein Beweis ist).
Zunächst sollten wir erst einmal die Essenz aus all diesen scheinbar neuen Erkenntnissen ziehen, um dann zu hinterfragen, welche wirklich relevanten Schlüsse daraus resultieren. Erkenntnis Nr.1: Haftmann war vermutlich Mitglied der NSDAP. Erkenntnis Nr. 2: Die documenta von 1955 und ihre Nachfolgeausstellungen waren ein Alibi einer falschen Vergangenheitsbewältigung zu Lasten wirklich verfolgter Künstler und Erkenntnis Nr. 3: Die documenta diente in der Frontstadt des Kalten Krieges, Kassel, zur Verfestigung westlichen und das heißt auf die Abstrakte gerichteten Kunstdenkens. Diese Positionen konnte man mit unterschiedlicher Emphase auch auf einer Tagung des Deutschen Historischen Museums Ende 2019 vernehmen, deren Beiträge freundlicherweise auf YouTube dokumentiert sind (https://www.youtube.com/results?search_query=%23DHMdocumenta).
Beginnen wir mit Erkenntnis Nr. 1 und fragen uns, welche wirkliche Bedeutung sie hat.
Von einer Sensation, die keine ist
Der uns als Sensation präsentierte Skandal ist nicht neu; schon Hans H. Aurenhammer hat in seinem Beitrag vor 17 (!) Jahren über Hans Sedlmayr in Wien darauf hingewiesen, dass Haftmann sich bei Sedlmayr, als dessen Widersacher er sich später hervortun sollte, beworben und von Friedrich Kriegbaum als „linientreuer Nationalsozialist“ beschrieben wurde (siehe auch FAZ vom 3.2. 2020). Nun sagt eine Aussage eines Dritten nichts Zwingendes über das eigene Denken aus. Tatsächlich hat Haftmann die Stelle bei Sedlmayr ja nicht angetreten. Werner Haftmann hat übrigens nie versucht, seine Vergangenheit zu verbergen. Schon 1966 schreibt er im „Skizzenbuch zur Kultur der Gegenwart“, dass er sich „in Berlin bei der erbitterten Auseinandersetzung um die moderne Kunst, die der Nationalsozialismus vom Zaune brach, (…) [seine] ersten publizistischen Sporen verdient“ habe. Er meint damit - ich habe ihn zu diesem Aspekt einmal interviewt – seine Beiträge für „Kunst der Nation“, eine Zeitschrift, die bis 1935 versucht hatte, den Expressionismus gegen die Rosenberg-Strömung unter den Nationalsozialisten zu verteidigen. Die aktuelle Skandalisierung der „Causa Nolde“ inklusive ostentativem Bilderabhängen nimmt sich ein bisschen komisch aus, da all diese Tatsachen seit 1962 (!) spätestens bekannt sind durch einen Aufsatz von Hildegard Brenner, in der Vierteljahreszeitschrift für Zeitgeschichte (Die Kunst im politischen Machtkampf der Jahre 1933/34). Es ist also seit 58 Jahren bekannt, dass Joseph Goebbels im Machtkampf gegen Alfred Rosenberg gegenüber dem Expressionismus zunächst eine liberalere Haltung einnahm und Nolde, dessen Einstellung ebenfalls kein Geheimnis war, als Vertreter dieser Kunstrichtung schätzte. Der Expressionismusstreit in den ersten Jahren des Nationalsozialismus wurde erst 1935 von Hitler für beendet erklärt. 1933 und 1934 waren die Positionen zur Moderne keinesfalls geklärt; die Aktivitäten des NSD-Studentenbundes für moderne Kunst (Expressionismus und Neue Sachlichkeit) und deren, wenn auch zum Teil heute krude anmutenden Argumente müssen in diesem Kontext gesehen werden. Die Künstler, denen man eine nordisch-nationale Rolle zuweisen wollte, hießen nicht nur Nolde, sondern auch Heckel, Schmidt-Rottluff, Mueller, Barlach und Kirchner. „Wie man weiß, ging dieser Kampf verloren“, merkt Haftmann lapidar im oben zitierten Beitrag an.Es ist falsch und zusätzlich völlig unhistorisch gedacht, nämlich aus der Jetzt-Sicht heraus, mit dem Wissen, was später kam, Haftmann zu unterstellen, dass er eine explizite NS-Vergangenheit , diese später verschwiegen und die Rehabilitierung von Künstlern wie Nussbaum oder Freundlich bewusst unterlassen habe. Damit wird implizit gesagt, dass er unter einem westlichen Deckmäntelchen die NS-Kulturpolitik fortgeführt habe. Besonders perfide wird im Beitrag von ttt im O-Ton von Julia Friedrich der Hinweis auf politische Konstellationen der Jetzt-Zeit. Ein solcher Hinweis ist grundsätzlich vor dem Hintergrund der Ereignisse in Thüringen Anfang der 1930er Jahre im Vergleich mit der Gegenwart nicht illegitim, nur im Hinblick auf Haftmann ist er fehl am Platz.
Kunsthistoriker im Nationalsozialismus
Gehen wir also einen Schritt zurück in die Nachkriegszeit und greifen die Frage der Schuld von Kunsthistorikern und ihrem Anteil an der NS-Kulturpolitik auf. Kommen wir zurück zu Kurt Bauch, der 1933 in die NSDAP eingetreten war, und dem auf Grund seiner Parteimitgliedschaft später in München die Professur in der Nachfolge von Hans Jantzen verwehrt wurde. Stattdessen wurde Hans Sedlmayr 1951 auf diesen Lehrstuhl berufen, also jemand, der 1946 aus seiner Professur in Wien wegen zu großer Verstrickung in den Nationalsozialismus entlassen wurde und ein Publikationsverbot erhielt. Er galt in München nämlich als Ausländer und damit unbelastet (so nachzulesen in den Akten des Münchener Universitätsarchivs). Und im Unterschied zu Haftmann hatte Sedlmayr sich sowohl vor 1945 als auch danach als scharfer Kritiker der Moderne betätigt und seine erzwungene Freizeit nach dem Krieg genutzt, um das Buch „Verlust der Mitte“ (1948) zu schreiben und darin eine Kunst, die sich von Gott entfernt habe und im Falle von Egon Schiele oder George Grosz „innerlich entartet“ (S. 215) sei, anzuklagen. Sedlmayr hat also tatsächlich genau da weitergemacht, wo er 1945 nie aufgehört hatte.Über Kunstgeschichte während des Nationalsozialismus‘ ist inzwischen erfreulicherweise viel geschrieben worden; das muss hier nicht wiederholt werden. Die Vertreibung und Ausgrenzung von Künstlern, von der die Länder profitierten, die die Vertriebenen aufgenommen haben, findet ihre Entsprechung in der Vertreibung und Ausgrenzung von Kunsthistorikern, die zu dem Spruch Walter Cooks, Direktor des New Yorker Institutes of Fine Arts, führte: „Hitler ist mein bester Freund, er schüttelt den Baum und ich sammele die Äpfel ein“. Unter denen, die hierblieben, gab es diejenigen, die vom System profitierten und diejenigen die hofften, es komme alles nicht schlimm und die im Laufe der Jahre sich immer mehr verbiegen mussten. Ich möchte dieses verbale Verbiegen am Beispiel des später Exilierten Nikolaus Pevsner tun, 1933 Privatdozent in Göttingen und nach § 3 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 als „Volljude“ deklariert. Sehr schnell war ihm klar, dass er in Deutschland keine Zukunft habe und bewarb sich als Lehrbeauftragter in Italien für „Kunstgeschichte nördlich der Alpen“ und ersuchte für diese Bewerbung die Unterstützung des Göttinger Historikers Karl Brandi mit den Worten, er könne den dortigen Kunsthistorikern etwas „von der Nordischen Kunst“ vermitteln und etwas „Kulturpropaganda“ betreiben. Liest man solche Sätze vom Zusammenhang gelöst, könnte man sie als höchst befremdlich interpretieren. Im Kontext hingegen sehen wir es als Versuch, mit der Verwendung des Vokabulars der neuen Herrschenden sein eigenes Überleben zu sichern.
Für diejenigen, die das o.g. Gesetz nicht zutraf hieß es sehr rasch, sich zu ducken oder – wie für einige Zeit Franz Roh – ins Konzentrationslager zu kommen. Es war eigentlich kaum möglich, seine Arbeit weiter zu führen, ohne sich die Hände schmutzig zu machen. Im konkreten Lehrbetrieb hieß dies, dass spätestens nach 1935 Vorlesungen über beispielsweise den Expressionismus immer seltener wurden und irgendwann einfach verschwanden. Nehmen wir ein weiteres Beispiel einer vollkommen integeren Kunsthistorikerpersönlichkeit, nämlich der „linke“ Richard Haman, in dessen „Geschichte der Kunst von der altchristlichen Zeit bis zur Gegenwart“ die Beurteilung des Expressionismus‘ von positiv (1932) über „es gab den Expressionismus“ changierte bis 1938: der Expressionismus habe „es nicht vermocht, breite Schichten der Gesellschaft für sich zu überzeugen. Dafür war er zu umstürzlerisch, gewaltzerstörend und alte Werte vernichtend.“ (Zitiert nach Sprenger in Held/ Papenbrock 2003).
Es waren nicht wenige sehr profilierte Kunsthistoriker in der NSDAP, wie der bereits erwähnte Kurt Bauch, Hermann Beenken, Hubert Schrade oder Wolfgang Schöne, und dies nicht erst seit 1937. Doch wäre es zu einfach, sie alle als Nazi abzuqualifizieren. Wie absurd das Argument der Parteimitgliedschaft ist, zeigt das Beispiel von Wilhelm Pinder, der tatsächlich glühender Anhänger der NS-Ideologie, aber nicht in Mitglied der NSDAP war, dessen österreichischer Adlatus, der oben schon erwähnte Hans Sedlmayr, in der Festschrift zu Pinders Geburtstag den Anschluss Österreichs als Geburtstagsgeschenk feierte: „Es konnte für Wilhelm Pinder keinen schöneren sechzigsten Geburtstag geben. Heil Hitler! Ihr treuer Hans Sedlmayr“.
Einer der ersten, der zu Sedlmayrs Buch „Verlust der Mitte“ Haltung zeigte, war – übrigens, wie er mir berichtete, spontan und ungeplant – Werner Haftmann, der 1949 auf dem 2. Deutschen Kunsthistorikertag, den problematischen Charakter von Sedlmayrs Kampfschrift hervorhob und diesem religiös verschrobenen, rückwärtsgewandten Denken das Postulat der Freiheit entgegensetzte: „Ich ärgerte mich einfach über sein Buch: - über die Rederei von der entarteten Kunst und die alberne Berufung auf ein „christliches Abendland“, die schon vor Sedlmayr die Anschauung der akademischen Kritiker trübte.“ (Zitiert aus einem Brief Haftmanns an die Verf.). Wäre es also nicht zielführender, statt heute auf Parteimitgliedschaften zu schauen, sich damit zu beschäftigen, was Kunsthistoriker publiziert haben, ob da antisemitische Bemerkungen waren oder ob sie explizit anderen geschadet haben?
Moderne als Kitt für die Nachkriegsgesellschaft?
Man kann mit der Weisheit des Nachgeborenen die verengte Vorstellung von Freiheit, wie Haftmann sie verfocht, kritisieren. Haftmann hatte sich nach 1945 die Lebensaufgabe gesetzt, für die Freiheit in der Kunst und gegen das, was er „art dirigé“ genannt hat, nämlich von Oben gelenkte Kunst zu kämpfen. Diese Kunst war nun einmal vorwiegend gegenständlich. Und die Formalismusdebatte in der DDR sollte ihm auch Recht geben. Haftmann sah, wie man in seinen Publikationen nachlesen kann, im sozialistischen Realismus die Fortsetzung der NS-Kunstpolitik, was zweifellos dazu führte, dass er, diese Kunst als unfrei ablehnte und in der Verkennung, dass auch dort gute Kunst entstanden war, mit diesem Bade auch das Kind gegenständlicher/realistischer Malerei ausgoss. Das können wir heute in aller Sachlichkeit als Fehleinschätzung bewerten; gleichzeitig aber haben wir eine Erklärung, warum auf der documenta 1955 so wenig gegenständliche Kunst zu sehen war. Das Haftmannsche Pathos im Vorwort wurde in der Literatur schon oft kritisiert zusammen mit dem Vorwurf, er habe - ähnlich wie in seinem Buch „Malerei im 20. Jahrhundert“ den Nationalsozialismus verharmlost. Auch das ist aus der heutigen Kenntnis der Geschichte völlig richtig, trifft aber nicht die Situation in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg. Haftmann sah sich in einer nach vorne gerichteten Mission: „In der damaligen Situation Deutschlands schien es mir ein wenig absurd an meiner langen Arbeit zur Kulturgeschichte der italienischen Frührenaissance weiter zu arbeiten. Zu verworren, zu kenntnislos schien mir die damalige Einstellung der Nation zur modernen Kunst.“ (So schrieb er in einem Brief an mich).Zweifellos ist das Fehlen von Bildern von Felix Nussbaum oder auch Otto Freundlich auf den documenta-Ausstellungen zu beklagen. Man sollte darin aber nicht zwingend eine post-nationalsozialistische Handlung sehen, sondern nachzuvollziehen versuchen, dass eine Ausstellung wie die documenta von 1955 nicht in allen Punkten ausgereift sein konnte. Ein Blick ins Archiv zeigt auch in ganz praktischer Hinsicht, dass die Wege, solche Kunst für die documenta im Kontext kompletter institutioneller Zerstörung zu organisieren, steinig und Leihgaben zum Teil nur über sehr persönliche Netzwerke möglich waren.
Die Idee von der „Moderne als Medizin“ ignoriert deren Status bei den Rezipienten zehn Jahre nach Kriegsende. Die Kunst, die im ttt-Beitrag, aber auch in den oben genannten Vorträgen gerne als harmlos oder gefällig interpretiert wird, war dies in der bundesrepublikanischen Nachkriegsrealität keinesfalls. Auch hier gilt, die Dinge nicht aus der Jetztzeit zu bewerten, sondern sich die Kunstrezeption der damaligen Zeit, in welcher Sedlmayrs Meinung zwar radikal, aber keine Einzelmeinung war, vor Augen zu führen. (Es wäre eine reizvolle Aufgabe, einmal die moderne Kunst in Karikatur oder Bildwitz bis in die 1960er Jahre zu sammeln, um auch auf diese Weise nachzuweisen, dass das, was da 1955 gezeigt wurde, alles andere als common sense war.)
Sicherlich hat die etablierte Kunstwelt in der Ausstellung den Wiederanschluss an die westliche Kunstwelt gesehen, und es gibt zweifellos auch äußerst problematische Aspekte in der Herausstellung vorwiegend ungegenständlicher Kunst, aber die aktuelle Empörung dagegen unterstellt eine Böswilligkeit, die es nicht gab. Zweifellos – diese Kritik trug schon Hermann Raum 1977 vor – kann man in der documenta von 1955, und noch mehr in ihren Nachfolgeausstellungen in der grenznahen Stadt Kassel ein kulturelles Bollwerk wider den Sozialismus und somit als ein Instrument des kalten Krieges sehen. Ob sie in ihren Anfängen wirklich als solches intendiert war, darf man bezweifeln. Werner Haftmann, von dem man gar nicht alles heute richtig finden muss, aber dessen Denken man aus dem historischen Kontext seiner Zeit verstehen sollte, in eine Nazi-Ecke zu stellen, ist schlicht und einfach unanständig.
Dr. Ulrike Wollenhaupt-Schmidt, Kunsthistorikerin, Erfurt
(Ich veröffentlichte 1994 eine Dissertation über die documenta, forschte und publizierte seither immer mal über Kunsthistoriker in der NS-Zeit, bzw. danach; eine Publikation zu Franz Roh und Sedlmayr ist in Arbeit).
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